Bedeutende Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts (Teil VIII): Alexander Flemings Schimmelpilz wirkt Wunder

Es war im Jahre 1928, als Alexander Fleming, seines Zeichens Bakteriologe des St. Mary’s Hospital in London, eine Agarplatte mit Staphylokokken beimpfte und anschließend beiseite legte. Kurz darauf begab er sich in seinen Sommerurlaub.

Alexander Fleming leitete mit seiner Entdeckung das Zeitalter der Antibiotika ein.

Alexander Fleming leitete mit seiner Entdeckung das Zeitalter der Antibiotika ein.

Als er gegen Ende September an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, erlebte er eine Überraschung: Auf dem Nährboden wuchs ein Schimmelpilz und in der unmittelbaren Nachbarschaft dieses Pilzes hatten sich die Bakterien nicht vermehrt.

Fleming benannte den Stoff, der aus dem Nährmedium gewonnen worden war, Penicillin. Damit berief er sich auf die lateinische Bezeichnung des Schimmelpilzes Penicillinum notatum.

Im Jahr darauf beschrieb er seine Entdeckung im «British Journal of Experimental Pathology». Als er die Wirkung des Stoffes auf unterschiedliche Bakterienarten und tierische Zellen untersuchte, stellte er fest, dass Penicillin lediglich Bakterien wie Staphylokokken, Streptokokken und Pneumokokken tötete, aber dagegen nichts bei Salmonellen bewirkte. Ferner erkannte er, dass Penicillin bei weißen Blutkörperchen, menschlichen Zellen oder Versuchskaninchen nicht giftig wirkte. Trotz dieser Feststellung unterließ Fleming es zunächst, Penicillin als Medikament einzusetzen.

Fast zehn Jahre sollten vergehen, bis die Forscher Howard W. Florey, Ernst B. Chain und Norman Hatley im Jahre 1938 sämtliche von Mikroorganismen gebildeten Stoffe untersuchten, von denen man wusste, dass sie Bakterien schädigten. Hierbei überprüften sie auch Flemings Penicillin, wandten es an Mäusen sowie an menschlichen Patienten an, um seine therapeutische Wirkung festzustellen.

Die Penicillin-Forschung sollte nun kontinuierlich fortgesetzt werden, obwohl sich während dieser ersten Phase die Gewinnung als mühselig herausstellen sollte. So kam es, dass der kostbare Stoff in einigen Fällen sogar aus dem Urin der behandelten Patienten wiedergewonnen wurde.

Aufschwung im Krieg

Während des Zweiten Weltkrieges sollte diese Lage sich jedoch drastisch ändern. Die Alliierten hatten das Heilpotential des Penicillins begriffen und bekundeten nun größtes Interesse, das Mittel als Antibiotikum bei den verwundeten Soldaten massiv einzusetzen.

Flemings Schriften hatten vor 1940 kaum Echo gehabt. Der Zweite Weltkrieg kam ihm zu Hilfe. Nicht unwichtig war dabei, dass das Mittel Prontosil, ebenso ein Antibiotikum, in Deutschland hergestellt und patentiert war. Nach Kriegsausbruch war dieses Medikament für die Alliierten nicht mehr verfügbar, weshalb die Penicillin-Forschung nun mit größerer Intensität durchgeführt wurde. Die Deutschen dagegen beharrten bis Kriegsende auf dem erwiesen weniger wirksamen Stoff der Sulfonamide.

Im August 1940 erhielten 50 Ratten eine tödliche Dosis Streptokokken. Der Hälfte der Versuchstiere wurde Penicillin verabreicht. Aus dieser Gruppe starb lediglich eine Ratte. Die andere Hälfte erhielt kein Medikament und verstarb innerhalb weniger Stunden. Dieses gelungene Experiment bedeutete für die Forscher einen grundlegenden Rückhalt, um Penicillin-Versuche mit menschlichen Patienten durchzuführen. Im Februar 1941 erhielt ein Londoner Polizist, der sich beim Rasieren geschnitten und daraufhin eine Blutvergiftung erlitten hatte, eine Dosis des neuen Mittels. Nach fünf Behandlungstagen war der Patient fieberfrei. Allerdings war der Penicillinvorrat bald aufgebraucht, weshalb die Kur abgebrochen werden musste. Der Kranke erlitt einen schweren Rückfall und starb einen Monat später.

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Penicillinpackung der 1950-er Jahre

Die Lehre dieses Falles lautete eindeutig: Antibiotika müssen über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, als die Krankheitsmerkmale andauern. Dass Symptome nicht mehr vorhanden sind beziehungsweise Beschwerden völlig nachgelassen haben, bedeutet nicht, dass der Patient gesundet ist. Deshalb ist in diesen Fällen von einem «vorzeitigen Abbruch der Behandlung» die Rede, der immer das Risiko eines Rückfalls hat.

1942 startete die industrielle Penicillin-Produktion

Howard W. Florey und Norman Hatley reisten in die USA, um ihr neues Mittel bekanntzugeben. Es glückte ihnen, das Interesse der Wissenschaftler, besonders im militärischen Bereich, auf sich zu ziehen. Ab 1942 startete die industrielle Penicillin-Produktion.

Im gleichen Jahr begann auch in Deutschland die systematische Erforschung der vielversprechenden Arznei. Allerdings mussten die Wissenschaftler sich kriegsbedingt auf die damals verfügbaren Aufzeichnungen Flemings stützen, die bei weitem nicht ausreichend informativ waren.

1943 gab es bereits 22 Penicillinhersteller. Das Mittel ging zu 100 Prozent an verwundete Soldaten, da der Produktionsumfang nicht genügend war, um auch Zivilisten damit zu behandeln. Ein Jahr später änderte sich diese Lage in den USA: Das Medikament war mittlerweile für alle Kranken ausreichend. Gegen Kriegsende lieferten die nordamerikanischen Hersteller um 20 Mal mehr Penicillin als ihre europäischen Mitstreiter. In den USA hatte man entdeckt, dass in Wasser eingeweichter Mais, genannt «corn steep liquor» (Maisquellwasser) für den Pilz ein ideales Nährmedium war.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Penicillin-Produktion weltweit enorm erhöht werden. Das Medikament etablierte sich als Wunderheilmittel für Infektionskrankheiten, die zum Teil tödlich waren. Alexander Fleming hatte ein Mittel erforscht, welches als «Königin der Arzneimittel» die Bewunderung der Welt auf sich zog, ein Begriff übrigens, den 1945 der Bakteriologe Selman Abraham Waksam prägte. Die Anwendung des Penicillins und seiner chemischen Modifikationen waren revolutionär; sie brachte den Ausbruch und die Verbreitung der gefürchteten bakteriellen Infektionskrankheiten zeitweise so gut wie zum Stillstand.

Ehrungen über Ehrungen

Alexander Fleming wurde 1881 im schottischen Lochfield bei Darvel geboren. Ab 1901 studierte er an der St. Mary’s Hospital Medical School in Paddington Medizin. Nach Abschluss des Studiums blieb er an diesem Institut, welches ihn 1921 zum stellvertretenden Leiter und 1946 zum Direktor ernannte. Während des Ersten Weltkriegs diente er als junger Arzt an der französischen Front. Die hohe Sterblichkeitsrate der Soldaten, deren Schusswunden sich entzündeten, beeindruckte ihn tief. Nach dem Krieg bemühte er sich an seinem alten Arbeitsplatz darum, ein Antiseptikum zu finden, um den qualvollen Todeskampf von Infektionskranken zu verhindern.

Zwischen 1928 und 1948 lehrte er an der Londoner Universität Bakteriologie. Bereits im Jahre 1921 isolierte er das Enzym Lysozym, welches die Eigenschaft aufweist, Bakterien zerstören zu können.

1944, das Jahr bevor er den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielt, wurde der für seine Bescheidenheit bekannte Mann geadelt, weshalb er sich nun Sir Alexander Fleming nennen konnte. Zahlreiche Ehrungen folgten. Zwölf nordamerikanische und europäische Universitäten ernannten ihn zum Ehrendoktor; außerdem war er Kommandeur der französischen Ehrenlegion und Ehrendirektor der Universität Edinburgh.

Fleming war aktiver Freimaurer. 1925 erfolgte seine Ernennung als Meister vom Stuhl der Loge Santa Maria und 1936 der Misericordia Lodge. Ab 1942 war Fleming Erster Großschaffner der Vereinigten Großloge Englands, und 1948 erfolgte seine Beförderung zum Großaufseher.

Im März 1955 starb Sir Alexander Fleming an den Folgen eines Herzinfarkts. Er wurde in der Saint Paul’s Cathedral in London beigesetzt.

Von Walter Krumbach

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